Ein therapeutischer Tanztheaterabend von Tim Gerhards.
Vorstellungen
5. und 6. November in der Spedition am Güterbahnhof (jeweils 20 Uhr).
Firmen wie Primark, H&M, Rossmann versprechen uns, dass man auch mit äußerst wenig Geld am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Man muss halt nur Gedanken wie „Wer produziert meine Jacke und kann derjenige von seiner Arbeit leben?“ oder „Traurig, das mit der eingestürzten Klamottenfabrik in Bangladesch“ ausblenden. Denn wer viel einkauft, kann auch viel erzählen. Und da kommt das Youtube-Phänomen „Haul“ (engl. „Beute“) ins Spiel – Junge Frauen gehen möglichst billig shoppen und zeigen ihren hunderttausenden Onlinefreunden ihre Beute. Aber dieses nervigste aller Aufmerksamkeitsdefizitsyndrome kann nun endlich geheilt werden: Tim Gerhards zeigt in seinem neuen Stück HAUL, wie.
Dass Konsum krank machen kann, sieht man heutzutage zur Genüge auf Youtube: Junge Frauen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben, sehen sich einem Leiden ausgesetzt, dass ihr Handeln bestimmt. Sie kaufen billigste Klamotten von Primark oder Ramschkosmetika von Rossmann und müssen, von einer Art psychosozialem Drang geleitet, ihre Einkäufe der Webcam zeigen. Von dort aus sehen diesen Haul dann zigtausende andere junge Mädchen. Diese Erkrankung verbreitet sich dadurch ungebremst. Experten sprechen von der ersten ansteckenden psychologischen Krankheit. Noch ist dieses Phänomen eher unerforscht, aber immerhin gibt es schon eine Definition:
Haul [hɔːl], der; aus dem Englischen Beute, Fang. Der H. bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch den krankhaften Einkaufsrausch. Häufige Symptome sind die Zurschaustellung der Shoppingbeute auf Videoportalen wie Youtube sowie das besinnungslose, stundenlange Verbringen in einschlägigen Kaufhäusern. Eine Therapie findet bislang nicht statt. Erkennungsmerkmale sind Sätze wie „Ich weiß nicht, warum ich alles in grau gekauft habe, ich hasse eigentlich grau. Aber egal, hahaha!“. Sprachgebrauch: „Ich zeige Euch heute meinen neusten Primarkhaul“, „Haul nicht so rum!“ und, seltener: „Seht Euch meinen neusten Porschehaul an“.
Noch ist dieses Kulturphänomen der breiten Öffentlichkeit unbekannt. Vor allem Menschen über 26 Jahren haben davon noch nie etwas gehört – oder sie ignorieren dieses ernstzunehmende psychotische Leiden bei ihren eigenen Kindern. Zurzeit gibt es noch keinerlei medikamentöse Behandlung. Auch die Politik unternimmt nichts. Dies ist der Punkt, an dem Künstler sich dieses Themas annehmen müssen, um selbstlos die Gesellschaft auf eines der dringendsten Probleme unseres Nachwuchses hinzuweisen: Wie kann ich mit meinem eigenen Konsum Geld verdienen? Reicht es, wenn ich mir für 30 Euro meine Taschen bei Primark vollmache und hinterher über Werbung auf Youtube den nächsten Einkauf finanziere? Oder muss ich tatsächlich etwas lernen und arbeiten gehen?
Mit: Janine Claßen, Mariko Koh und Denis Fischer.
Choreografie und Projektleitung: Tim Gerhards.
VA-Management: Johanna Melinkat.
Texte: Peer Gahmert.
Tickets und weitere Informationen unter timgerhards.de | Ticketpreise frei wählbar