Ein langgestreckter Raum. Früher mal saßen in ihm, so eine mögliche Vorstellung, Angestellte an ihren aufgereihten Schreibtischen, bedienten Rechenmaschinen und Fernschreiber. Sie nahmen Lieferscheine entgegen, oder händigten sie aus. Darauf Listen von Waren, die im Stockwerk darunter, in der großen Halle aus- und eingeladen wurden. Irgendwann verschwand die alte Spedition (und mit ihr diese fordistische Arbeitswelt) aus dem Gebäude, und nach ein paar Jahren wurde hier eine neue Spedition gegründet. Aus diesem Raum, früher Büro, wurde ein Ort vorrangig nächtlicher und immer wechselnder Aktivitäten. Der Raum wurde die bel étage genannt. Mal ein Klub, ein Konzertraum, eine Probebühne, ein Vortragsaal, ein Produktionsstätte von Kultur und Sozialität. Statt den Schreibtischen und Bürohockern ist an dem einen Ende des Raums ein Tresen installiert. An dem anderen Ende steht ein Bühnenelement. Es dient als Tisch für Djs oder Musiker*innen, als Pult für Vortragende oder als Bühne für Performer*innen. Quer dazu verläuft eine langgestreckte Bank, eher ein niedriges Regal, auf dem in Abständen plastiklederne Sitzpolster angebracht sind. Eine Discokugel hängt, zwei Säulen mit schwarz-weißen Kacheln stehen asymmetrisch versetzt im Raum. Sonst ist der Raum leer.
Die letzte Veranstaltung mit Publikum fand hier im Februar 2020 statt, vor fünfzehn Monaten. Seitdem ein paar Streaming-Sessions, der Raum als Studio, als Sendesaal. Verschiedene Workshops und eine Fotosession letzten Sommer. Was so geht unter wechselnden Pandemie-Bedingungen, mit AHA-Regeln an der Wand und Richtungspfeilen in Neon-Orange auf dem Boden. An vielen anderen Tagen ein stiller Ort, wartend. Manchmal mehrere Tage Benutzung als Werkstatt, als Ort für Treffen oder Videokonferenzen. Auf der Tafel hinter dem Tresen stand hier anfangs noch „Corona Bier 1,-“, jetzt „Nonbinarity“, eine Referenz von der Queertriachy Übertragung im Herbst.
Letzte Woche wurde an der Seitenwand hinter dem Regal ein 3,5m x 2,2m großes Wandbild angebracht. Eine Fotografie, die einen Moment in der bel étage festhält. Wieder zuerkennen ist die Diskokugel, mit den gleichen angebrochenen Spiegelelementen. Auch eine der beiden Säulen. Der Raum ist dunkel, Teile sind vollständig schwarz. Im Hintergrund eine Nebelwolke, blau angeleuchtet durch einen Scheinwerfer. Zwei Personen sind zu sehen, von hinten, fast lebensgroß. Sie tanzen, in reduzierten Bewegungen. Jede für sich, aber nicht einsam. Ein Bild als Echo, dass Erinnerungen aufruft, an Momente, wenn die Party sich unendlich langsam dem Morgen nähert. Wenn die Musik nochmal Menschen auf die Tanzfläche zieht, oder für Stunden dort hält. Ein Bild als Vorschau, wenn das nächste Mal Tanzmusik den Raum einhüllt, und zwei Menschen oder auch mehr sich durch die Nacht bewegen. Hoffentlich bald.
Foto + Idee: Ulf Treger, Druck auf Vliespapier
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